Die Weinflaschengrössen
Nebst der 0.75l Normalflasche gibt es die Halbe-Flasche und eine ganze Anzahl grosser bis riesiger Flaschen. Immer beliebter auch für den Privatkonsum ist die Magnum. Ich mag die Magnum sehr, wenn ich einige Gäste bewirte. Die anderen haben eher für Show-Zwecke und Marketing eine Bedeutung. Unbestritten ist, dass die Reifung in grossen Flaschen langsamer fortschreitet, was als Vorteil gilt.

Neben den obigen traditionellen Flaschengrössen ist die 0.5l Flasche mit Schraubverschluss heute auch recht verbreitet in Gastronomie und Supermarkt.
Zu Weihnachten 2025 öffnete ich zum ersten Mal eine Doppelmagnum (3l) für meine Gäste:
Der Wein: Il Seggio, 2020, Doppelmagnum (3l)
Rosso Bolgheri DOC
50% Merlot / 20% Cabernet Sauvignon / 20% Cabernet Franc / 10% Petit Verdot, also eine typische sogenannte Bordeaux-Assemblage, aber aus dem Toskanischen Bolgheri
Winzerin: Marilisa Allegrini – Weingut: Poggio al Tesoro



Meine Qualitäts-Beurteilung
1. Balance
Die Frage lautet: Ist der Wein ausgewogen? Ist er harmonisch? Die Weinjournalisten sprechen bei gut ausbalancierten Weinen auch von harmonischem Trinkfluss.
Es geht um das Gleichgewicht von Süsse, Körper, Alkohol, Säure und Tannin, also eher um nicht aromatische Eigenschaften. Wenn eines oder mehrere dieser Kriterien stark aus den restlichen hervorsticht oder stark abfällt, ist die Balance schlecht. Wichtig ist vor allem die Balance zwischen den üppigen und den harten Noten. Ein Wein kann also durchaus eine hohe Balance-Note kriegen, auch wenn er wenig Tannin/Säure, Alkohol, Süsse und Körper hat. Allerdings hat er dann erfahrungsgemäss meistens auch wenig Aromen und verliert am Schluss trotzdem.

Ebenso können weitere Gleichgewichte eine Rolle spielen, wie zum Beispiel inwieweit sich die Intensität in der Nase und im Gaumen unterscheiden. Ein Wein, der in der Nase intensiv riecht, aber im Gaumen enttäuscht (oder umgekehrt), ist da nicht gut ausbalanciert. Und das kommt recht häufig vor. Die Balance ist zwar von den 4 Qualitätskriterien wohl am schwierigsten zu quantifizieren, sie ist aber sehr wesentlich für unser Wein-Glücksgefühl. Die restlichen 3 Qualitätskriterien befassen sich vorwiegend mit den Aromen.
Ich gebe dem Il Seggio 80% Punkte bei der Balance, was sehr gut ist. Er ist wirklich sehr ausgeglichen und hat super angenehme Säure und Tannin.
2. Abgang (= Länge)
Die Bewertung ist:

Der Abgang (auch Länge des Weins genannt) beschreibt, wie lange nach dem Schlucken Du die Aromen noch im Gaumen spürst. Die Länge ist eines der vier Qualitätskriterien. Sie ist also sehr wichtig. Hier gibt es eine sehr einfache Regel. Du schwenkst die kleine Degu-Menge mit der Zunge im Gaumen und schluckst dann runter. Sofort beginnst Du die Sekunden zu zählen (21, 22, 23 …), bis Du das Aromaspektrum praktisch nicht mehr wahrnimmst. Die Länge des Abgangs ist dann wie folgt definiert:

Bei der Länge zählte ich bis knapp 10 Sekunden und gab ihm deshalb auch 80% Punkte.
3. Intensität
Die Bewertung ist:

Die Intensität beschreibt, wie stark Du die Aromen riechst bzw. schmeckst. Zuerst in der Nase und dann im Gaumen. Als Faustregel näherst Du dich mit der Nase dem Glas von oben. Je früher Du Geruchsaromen wahrnimmst, desto ausgeprägter ist die Intensität. Nimmst Du erst tief im Glas drin was wahr (oder ggf. gar nichts), ist der Wein verhalten. Erkennst Du Geruchsaromen schon in einiger Entfernung vom Glas, ist die Geruchs-Intensität ausgeprägt. Erkennst Du Aromen direkt ab dem Glasrand, ist die Intensität mittel.

Bei der Intensität im Gaumen geht es grundsätzlich um genau dasselbe wie bei der Nase: wie stark spüre ich die Aromen? Nur gibt es hier keine einfache Regel. Du musst Dir das mit der Erfahrung selbst erarbeiten. Ich behaupte auch, dass die Unterschiede bezüglich Intensität in der Nase grösser sind als im Gaumen. Die Intensität ist eines der vier wichtigen Qualitätskriterien eines Weins. Für die Bestimmung werden die Intensitätsempfindungen in Nase und Gaumen zusammen bewertet, das heisst man nimmt den Durchschnitt von beiden.
Die Intensität des Il Seggio ist voll OK, aber nicht überwältigend. Knapp über Mittel. Deshalb gebe ich ihm hier 60%.
4. Komplexität
Die Komplexität bewertet die Vielfalt der Aromen. Die Fragen lauten:
- Wie viele Aromen hat der Wein?
- Hat er Aromen aus allen drei Kategorien (I, II und III) oder nur aus Teilen davon?
Ein Wein, bei dem Du Mühe hast, die Aromen in Nase oder Gaumen zu nennen, verliert hier Punkte. Ein Wein, bei dem Du auf Anhieb viele Aromen aus allen drei Kategorien nennen kannst, ist hingegen in der Komplexität top.
Meine grobe, rein persönliche Regel ist wie folgt:

Wenn die Aromen dann noch aus möglichst vielen Kategorien kommen (I, II, III), erhöhe ich die Komplexitäts-Punkte zusätzlich.

Bei der Komplexität gebe ich dem Il Seggio die geringste Punktzahl der 4 Qualitätskriterien: 50%, also mittel. Er ist mit 7 Jahren auch noch recht jung – als Doppelmagnum sowieso. Er wird mit den Jahren noch mehr interessante Tertiär-Aromen kriegen.
Fazit:
270% Prozentpunkte bzw. 2.7 von 4 Punkten und somit Qualität „sehr gut“.

Im Weinjournalismus haben sich Weinkritiker etabliert, die Weine nach ihrem eigenen System mit Punkten bewerten. Es gibt vor allem 5, 20 und 100 Punkte Systeme. Das bekannteste ist von Robert Parker (heute Wine Advocate) und gibt Noten von 50 bis 100. Es bewertet das Aussehen, den Geruch, den Geschmack und den Gesamteindruck. Die offensichtlich recht unterschiedlichen Bewertungsskalen machen es nicht ganz einfach, den Überblick zu bewahren. In der folgenden Tabelle habe ich mal die Systeme Parker, VIVINO, mein eigenes auf WSET basiertes System und das 20er-System gegeneinander aufgezeichnet. Ganz nach meiner Einschätzung und Erfahrung.

Gemäss meiner persönlichen Qualitätsbeurteilung kriegte der Il Seggio also bei Parker 91 Punkte, bei Vivino 4.1 Punkte (sic! er hat dort genau diese Punktzahl!) und bei den 20er-Systemen 18.2 Punkte. Und er gehört damit zu den 10% besten Weinen der Welt.
Alles Copyright Rolf Kuratle, Wein-Lehrbuch „Auge – Nase – Gaumen, Wie Du Wein beschreibst, bewertest, geniesst“, in Arbeit, © 2026
